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Die zukünftige Rolle des CIOs (Teil 1)

21.11.19 13:54

In den letzten Jahren sind Digitalisierung und digitale Transformation zu Schlüsselthemen geworden, über die jedes Unternehmen nachdenken muss. Unter Digitalisierung verstehe ich in diesem Zusammenhang Unternehmen, die modernste Technologien zur Automatisierung ihrer etablierten Geschäftsprozesse innerhalb ihrer etablierten Geschäftsmodelle und Märkte einsetzen. Hingegen bedeutet digitale Transformation, wenn ein Unternehmen Technologie einsetzt, um neue Geschäftsmodelle oder Märkte zu erforschen, seine Kernprozesse technologiebasiert neugestaltet und/oder neue Produkte und Dienstleistungen unter Verwendung von Informationstechnologie entwickelt. Ich möchte nicht näher auf den Unterschied zwischen den beiden Begriffen eingehen (die inzwischen weitgehend zu Buzzwords geworden sind), sondern möchte lieber auf einige Aspekte eingehen, die sich auf die Rolle des CIO von Unternehmen, die sich mitten in der Digitalisierung und/oder digitalen Transformation befinden, auswirken.

Da Technologie - und insbesondere die Informations-Technologie (IT) - zu einem integralen Bestandteil des Unternehmens geworden ist, kann sie nicht mehr als reine Support-Funktion behandelt werden, die an einen CIO delegiert wird, der sich hauptsächlich auf den Betrieb des Backoffices konzentriert. Technologie hat sich inzwischen zu einer wichtigen strategischen Komponente des Unternehmens entwickelt. Deshalb wird der IT-Verantwortliche im Unternehmen - nehmen wir an, dies ist immer noch der CIO - eine veränderte und viel strategischere Rolle spielen als in der Vergangenheit. Einige der "traditionellen" Methoden, wie die IT innerhalb eines Unternehmens gemanagt wird, werden sich drastisch verändern müssen. Was in der Vergangenheit gut funktioniert hat, muss nicht unbedingt auch für die Zukunft das Richtige sein.


Faktoren, die sich auf die Rolle des CIO auswirken

Ich habe eine Reihe von Faktoren identifiziert, von denen ich glaube, dass sie die zukünftige Rolle von CIOs stark beeinflussen werden (ohne behaupten zu wollen, dass dies eine abschliessende Liste sei):

Neue Rolle IT und CIO

  • Die IT ist nicht mehr nur eine Support-Funktion, sondern wird zu einem strategischen Asset und Kern des Unternehmens: von Kosten zum Mehrwert
  • Konvergenz von Prozess- und Produkt-IT
  • Dematerialisierung: von Hardware zur Software, software-definierte Produkte
  • Offene Technologie-getriebene Innovation
  • Jede Führungskraft muss ein digitaler Leader werden - oder "wer braucht einen CDO"?
  • Die Zeiten der zentralisierten IT-Organisationen sind vorbei - oder "Schatten-IT, was stimmt daran nicht?"
  • Digitale Natives steigen ins Berufsleben ein: Netzwerke statt Hierarchien
  • Kürzere Markteinführungszyklen: Alles muss agil werden
  • Die Kontrolle über die Beschaffung der IT geht zunehmend zu den Anwendern über
  • Die Make-or-Buy-Diskussion ist wieder auf dem Tisch
  • Technologie wird zum Thema für den Verwaltungsrat
  • Zunehmende Cyber-Bedrohungen

Die Auswirkungen der oben skizzierten Faktoren werden zu einer Reihe von Veränderungen führen, über die "traditionelle" CIOs sorgfältig nachdenken müssen, wenn sie in ihrem Unternehmen relevant bleiben wollen. Meiner Meinung nach besteht der einzige Weg für etablierte CIOs, in ihrer Rolle zu überleben, darin, sich selbst drastisch zu «disrupten» und neu zu erfinden.

Die in den folgenden Kapiteln diskutierten Veränderungen sind keineswegs abschliessend. Aber es hat sich bereits gezeigt, dass sie bedeutend genug sind, um die traditionelle Rolle des CIOs in Frage zu stellen.

Von der Support-Funktion zum Kern des Unternehmens

Die Chancen, die ein technologischer Wandel bisher mit sich brachte, waren schon immer immens. Technologie hat nicht nur die Produktivitätssteigerung in buchstäblich jeder erdenklichen Branche ermöglicht, sondern sie hat auch dazu beigetragen, völlig neue Branchen zu schaffen und etablierte Branchen zu verändern. Für innovative Personen und Unternehmen war es immer eine der grössten Quellen der Inspiration und Innovation, sich technologische Errungenschaften genau anzuschauen und nach Möglichkeiten zu suchen, diese auf ein Unternehmen anzuwenden und zu kommerzialisieren. Sehr oft werden das wahre Potenzial und der Wert einer neuen Technologie erst Jahrzehnte nach ihrer Erfindung entdeckt.

Als im Jahre 1947 in den Bell Laboratories in Murray Hill, New Jersey, der Transistor erfunden wurde, dachte niemand daran, dass er eines Tages den Kern der Smartphones bilden würde, die jeder von uns 70 Jahre später in der eigenen Hosentasche trägt und die unsere gesamte Gesellschaft revolutionieren würden. Als die Gebrüder Wright im Dezember 1903 den ersten motorisierten Flug wagten - eigentlich war es eher ein Hüpfer von 37 Metern Länge der nur 12 Sekunden dauerte -, hätte niemand gedacht, dass zehn Jahre später die erste kommerzielle Fluggesellschaft zur Personenbeförderung entstehen und damit die Geburtsstunde einer ganz neuen Branche stattfinden würde.

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Technologie ist Teil des Produkts

Innovative Unternehmen scannen und erkunden den Markt ständig nach Technologien, die helfen können, ihre Produkte oder Dienstleistungen zu verbessern oder neue zu schaffen, bzw. Prozesse effizienter zu gestalten oder sogar vollständig zu eliminieren. Interessanterweise wurde die Informationstechnologie (IT) lange Zeit hauptsächlich in etablierten Unternehmen eingesetzt, um Effizienzen zu steigern, Prozesse zu automatisieren und Lieferketten zu optimieren, und hat nur in seltenen Fällen Einzug  als Teil ihrer Kernprodukte und Dienstleistungen gefunden. So führte American Airlines, um bei der Luftfahrtindustrie als Beispiel zu bleiben, Anfang der 1950er Jahre das erste elektronische Buchungssystem ein, um ihre internen Prozesse zu optimieren. Es dauerte jedoch nochmals mehr als 50 Jahre, bis Flugpassagiere relevante reisebezogene Informationen auf elektronischem Wege nahtlos abgerufen werden konnten. Und das ist auch heute noch nicht selbstverständlich. Für viele Reisende ist die mobile App genauso Teil des "Produkts" oder des Reiseerlebnisses geworden, wie der Sitzplatz oder das Essen und der Service an Bord des Flugzeuges.

Ebenso sind für den Besitzer eines modernen Elektroautos die digitale Interaktion, die Upgrade-Möglichkeit usw. des Fahrzeugs ebenso Teil des Produkts wie die Sitze und die physische Karosserie des Autos. Dadurch, dass mehr und mehr Funktionen und Eigenschaften eines physischen Produkts in Software wandern und dadurch virtualisiert werden und zusätzliche digitale Dienstleistungen rund um das Produkt angeboten werden, die seine Funktionalität verbessern, wird die IT selbst zu einem Kernstück des Produkts.

Die Umstellung oder Kombination von traditionell physischen Kernprodukten oder Dienstleistungen hin zu digitalen Komponenten hat dazu geführt, dass die IT nicht mehr nur als Support- oder Backoffice-Funktion betrachtet werden kann, die für den Betrieb des ERP-Systems und die für Verwaltung von PCs und Netzwerken zuständig ist. Die IT wird zu einem Kernelement jedes Unternehmens und viel mehr zu einer strategischen Komponente als zu einer Support-Einheit. Das bedeutet auch, dass die IT nicht mehr rein als Kostenfaktor betrachtet werden kann - im Gegenteil, sie trägt nun zur zentralen Wertschöpfung der Produkte und Dienstleistungen bei.

Kostenfaktor oder Mehrwert

Während die IT in der Vergangenheit hauptsächlich an den Kosten gemessen und ein guter CIO als einer angesehen wurde, der die Kosten der IT jährlich senken konnte, müssen sich CIOs in Zukunft darauf konzentrieren, wie die IT einen Mehrwert für das Unternehmen, d.h. für die Kernprodukte und -dienstleistungen schaffen kann, somit Umsatz generieren und die Wertschöpfung für das Kundenerlebnis steigern kann. CIOs werden daher vermehrt an dem Mehrwert der IT gemessen und nicht mehr nur an den Kosten.

Dies wiederum erfordert, dass CIOs strategischer und businessorientierter denken. Ein moderner CIO muss unternehmerischer und weniger operativ sein, d.h. weniger risiko- oder kostenorientiert. CIOs, die diesen Sprung nicht schaffen, laufen Gefahr, irrelevant zu werden und verwalten am Ende alte IT-Systeme und Infrastrukturen und werden im Wesentlichen zu Chief Legacy Officers.

Themen: Digitalisierung
Patrick Naef

Gepostet von Patrick Naef

Patrick Naef Verwaltungsratspräsident von UPGREAT und Managing Partner bei Boyden Executive Search. Er sitzt im Verwaltungsrat der Franke Group, einem weltweit agierenden Industrieunternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz. Auch ist er der Gründer und CEO der ITvisor GmbH, einer Boutique-Beratungsfirma, die sich auf die Beratung von Organisationen bei der Digitalen Transformation und auf Coaching von IT-Führungskräften spezialisiert hat. Zudem ist er aktiv als Verwaltungsrat und Advisor für Startup-Unternehmen, doziert an Universitäten und sitzt in Advisory Boards von mehreren Venture Capital Firmen im Silicon Valley. Von 2006 bis Juni 2018 war er CIO bei Emirates Airline & Group in Dubai. Während dieser Zeit sass er auch im Verwaltungsrat von SITA, einem global tätigen Telekommunikations- und IT-Dienstleister. Von 2006 bis 2014 amtierte er als CEO von Mercator, einem Tochterunternehmen der Emirates Group. Weitere Positionen in seiner Karriere sind CIO bei SIG und bei Swissair, sowie Führungspositionen bei der Zürich Versicherung, HP und Bank Julius Bär. 2011 wurde er vom deutschen CIO Magazin und IDG zum «CIO der Dekade» in der Kategorie "Internationale Ausrichtung" gewählt. Patrick Naef ist Dipl. Informatikingenieur ETH, und hat einen Abschluss in Executive MBA der Universität St. Gallen, HSG.